WLAN-Störerhaftung und Provider-Haftung: Hände weg vom Telemediengesetz?
Die geplante Neufassung der Haftungsregeln für WLAN- und Plattformbetreiber tritt auf der Stelle. Auf einer Konferenz in Köln ließen Juristen kein gutes Haar an den Plänen der Regierung und plädieren für einen Neuanfang und europäische Lösungen.
Die verhärteten Fronten zwischen den Unionsparteien und SPD verhindern zur Zeit eine Überarbeitung des Telemediengesetzes, die eigentlich im Koalitionsvertrag vereinbart war. Mit dem vorgelegten Gesetzentwürfen ist bisher keine Seite zufrieden. Bei einer Tagung des Kölner Forum Medienrecht äußerten auch Juristen ihren Unmut über das Vorgehen der Regierungsparteien.
So sieht die geplante Neuregelung des Paragraphen 8 des Telemediengesetzes vor, Betreiber von WLAN-Accesspoints wie einen Accessprovider aus der Haftung für über ihren Anschluss begangene Urheberrechtsverletzungen zu entlassen. Dafür müssten die Betreiber aber zusätzliche Bedingungen wie die Einrichtung einer Vorschaltseite erfüllen. „Aus meiner Sicht ist der Entwurf nicht kompatibel mit europäischem Recht“, erklärte der Medienrechtler Dieter Frey. Eine Einschränkung der Haftungsprivilegierung werde von der E-Commerce- Richtlinie der EU nicht zugelassen, erläuterte Frey.
Vorfahrt für Europa
Der Jurist plädierte dafür, erst einmal auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Störerhaftung zu warten. In dem Verfahren hatte sich der Generalanwalt gegen die Störerhaftung für Anbieter kostenloser offener WLAN-Netze ausgesprochen. Nach einer Entscheidung des Gerichts könne der deutsche Gesetzgeber immer noch über die notwendigen Klarstellungen in Paragraph 8 des Telemediengesetzes beraten.
In diesem Punkt erhielt Frey breite Unterstützung. So zeigte sich der SPD- Bundestagsabgeordnete Martin Dörmann auf die Stellungnahme des Arbeitskreises Urheberrecht seiner Fraktion, in der die Sozialdemokraten gegen zusätzliche Bedingungen für das Haftungsprivileg ausgesprochen haben. Linke-Abgeordnete Halina Wawzyniak brachte den von ihrer Fraktion und den Grünen eingebrachten Gesetzesentwurf ins Gespräch, der WLAN-Betreiber ohne Vorbedingungen mit Access-Providern gleichstellt: „Mir erscheint, dass es für unseren Entwurf im Parlament derzeit eine Mehrheit gibt“, sagte die Abgeordnete in Köln.
Verfängliche Haftungsfragen
Auch bei der zweiten Baustelle der Regierungsparteien im Telemediengesetz, der Neufassung des §10 des Telemediengesetzes zur Verschärfung der Providerhaftung, gab es in Köln vor allem Kritik. Eigentlich wollte die Koalition mit der Vorschrift Angebote wie Rapidshare regulieren, über die einst viele illegale Inhalte verbreitet wurden. Die im Gesetzentwurf gewählte Lösung, eine eigene Klasse „besonders gefahrgeneigter Dienste“ zu definieren, geht jedoch nach einhelliger Meinung der Teilnehmer der Kölner Tagung am Ziel vorbei: So seien zu viele legale und erwünschte Dienste auch von der Regelung betroffen.
Wawzyniak plädierte wie Frey dafür, das Gesetzgebungsverfahren in diesem Punkt ganz fallen zu lassen. „Wir haben hier kein Regelungsdefizit, vielleicht aber ein Vollzugsdefizit“, erklärte die Abgeordnete. Frey plädierte dafür, illegale Angebote unwirtschaftlich zu machen, indem man die Zahlungsströme unterbricht und auch Werbung auf den entsprechenden Seiten verhindert. Netzsperren könnten auch nach der BGH-Entscheidung vom Februar, die dieses Mittel ausdrücklich erlaubt, nur das allerletzte Mittel sein. Widerspruch kam jedoch von Michael Duderstädt, Direktor Politische Kommunikation bei der Verwertungsgesellschaft GEMA. Er sieht das eine Verschärfung der Haftungsregeln für Contentprovider als wesentlichen Schritt, um Urhebern eine angemessene Bezahlung zu verschaffen.
Cloud-Anbieter sehen keinen Handlungsbedarf
Vertreter der Cloud-Anbieter zeigten sich in Köln zufrieden, dass die Neufassung des Paragraphen 10 derzeit auf schwachen Füßen steht – sie befürchteten, dass ihre Dienste in die gleiche Klasse fallen könnten wie Kino.to oder Rapidshare. Schließlich verarbeiten sie Daten massenweise weiter, was juristisch mit einer Kenntnis der Inhalte gleichgestellt werden könnte. Umfangreiche Prüfpflichten wären die Folge. Guido Brinkel, der den Bereich Regulierungspolitik von Microsoft in Berlin leitet, bestritt jeden gesetzgeberischen Handlungsbedarf: „Die Frage stellt sich bei uns heute nicht, weil wir in der Praxis keine Haftungsfälle haben“, erklärte er. So würden Cloud-Dienste meist im Geschäftskundenbereich angeboten, in dem Haftungsfälle vertraglich geregelt werden.
Für Dienste wie YouTube wurde in Gerichtsurteilen eine „Notice and stay down“-Politik installiert. Sprich: Wenn sich ein Rechteinhaber beschwert, muss der Anbieter dafür sorgen, dass die entsprechenden Inhalte nicht erneut hochgeladen werden. YouTube setzt dazu das System „Content ID“ ein – zum Ärger von Privatnutzern, deren Videos fälschlicherweise gesperrt werden. Die Vertreter der Content-Industrie zeigten sich mit dem System in Köln sehr zufrieden.
EU-Regeln für die ganze Welt?
Dass die EU-Kommission derzeit an neuen Vorschriften für Plattformen wie Facebook arbeitet, regt die Fantasie der Juristen an: Die Wunschlisten sind lang, aber widersprüchlich. So warf Ulf Buermeyer die Frage auf, ob Dienste wie Facebook und Twitter über das Sortieren und Hervorheben schon die Rolle eines „aktiven“ Providers wahrnehmen, der Verantwortung für die bei ihm veröfffentlichten Inhalte übernehmen müsse. Durch die Haftungsregeln sei jetzt ein genereller Trend zum Overblocking entstanden: Da Mitarbeiter von Social- Media-Diensten mit komplexen juristischen Fragen überfordert seien, tendierten sie generell dazu, Inhalte im Zweifel zu sperren. „Facebook ist hier ein Gegenbeispiel: Viele Inhalte, die wir in Deutschland unerträglich finden, bleiben online.“ Dennoch rät Buermeyer von allgemeinen Filterpflichten ab, plädiert aber dafür, dass Facebook seinen Nutzern mehr Rechte gibt, unzulässige Inhalte zu markieren.
Thilo Weichert, ehemaliger Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein, schlug vor, das Marktortprinzip einzuführen, so dass auch für amerikanische Anbieter strenge europäische Datenschutzvorschriften gelten. „Vielleicht stellen die Anbieter dann fest, dass ihnen die NSA nicht so nah ist wie ihr Profit“, erklärte Weichert. Da die Betreiber kaum etwas so sehr verabscheuten wie ihre Plattformen aufzusplitten, bestünde die Chance, dass sie die europäischen Regeln gleich weltweit umsetzten.