Das Justizministerium legt einen neuen Entwurf des „Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“ zum Kampf gegen „Hatespeech“ vor. Dieser verschärft die vorgesehene Rechtslage noch einmal und könnte zu nicht weniger als zum Ende der Anonymität im Internet führen.

Viele Freunde hatte sich Heiko Maas (SPD) mit seinem Entwurf eines „Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“ zum Kampf gegen so genannten „Hatespeech“ in den sozialen Medien nicht gemacht. Branchenverbände, Datenschützer und Bürgerrechtler sahen darin übereinstimmend ein verfassungs- und europarechtswidriges „Zensurinstrument“, das zu einer regelrechten „Löschorgie“ bei Anbietern führen werde.

Grobes Foul des Justizministers

Während Verbände und Interessenvertreter noch an ihren Stellungnahmen zu dem ersten Entwurf arbeiten, legt das Justizministerium nun in der dafür noch laufenden Frist heimlich still und leise eine überarbeitete Version vor. Dies ist bereits ein eher ungewöhnliches Vorgehen im Gesetzgebungsprozess und dürfte von den Beteiligten bereits als grobes Foul bewertet werden. Schlimmer noch: Die überarbeitete Version wurde sogar ohne jede Absprache bereits der EU-Kommission zur Notifikation vorgelegt.

Enthalten sind zwei offenkundige Änderungen. Zunächst ist die Liste der Straftaten, bei denen das Gesetz zur Anwendung kommen soll, erheblich erweitert worden. So finden sich dort nun auch Vorschriften aus dem Sexualstrafrecht. Das überrascht insoweit, als dass wohl kaum jemand Facebook & Co vorgeworfen hat, bei der Löschung von Nacktheit oder gar Pornografie nicht schnell oder energisch genug reagiert zu haben.

Zudem kommt der Neuentwurf Kritikern entgegen, in dem der Teil gelöscht wurde, nach dem ein Anbieter „wirksame Maßnahmen gegen die erneute Speicherung des rechtswidrigen Inhalts“ zu treffen hatte. Kritiker sahen hierin eine Zensur-Verpflichtung, hochgeladene Inhalte zu überwachen und gegebenenfalls zu löschen. Ohnehin dürfte diese Regelung kaum mit europäischen Vorgaben zu vereinbaren gewesen sein.

Heimlich, still und leise

In der Neuregelung versteckt sich jedoch eine auf den ersten Blick eher unscheinbare weitere Änderung – die jedoch der Durchschlagskraft einer mittleren Atombombe für die Anonymität im Internet gleichkommt. Diese sieht vor, dass „in Paragraf 14 Absatz 2 des Telemediengesetzes, (…) nach dem Wort ‚Eigentum‘ die Wörter ‚oder anderer absolut geschützter Rechte‘ eingefügt“ werden sollen.

Dies ist zunächst einmal erstaunlich, da das Telemediengesetz (TMG) eigentlich die Haftung von Providern und Hostern im Internet regelt. Während durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz eigentlich nur eine Handvoll große Social-Media-Anbieter erreicht werden, erfasst das TMG sämtliche Anbieter im Internet, jedem Provider und jeden Website-Betreiber. Mit der Problematiken von „Hatespeech“ hat diese Regelung also überhaupt gar nichts zu tun.

Paragraf 14 TMG regelt in Absatz 2 die Herausgabe von Bestandsdaten. Das sind Informationen, die für die „Begründung, inhaltliche Ausgestaltung oder Änderung eines Vertragsverhältnisses“ notwendig sind – also Name, E-Mail, Postanschrift und vergleichbare Angaben. Deren Herausgabe ist danach nur eingeschränkt erlaubt, etwa an die Polizei oder, zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus, an die Geheimdienste. Skurrilerweise erlaubt die Vorschrift auch die Weitergabe von persönlichen Daten an die Rechteinhaber aus Musik- und Filmindustrie, soweit dies zur „Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum erforderlich“ ist. Diese Sonderregel umfasst vor allem Filesharing-Fälle und hatte zu hunderttausenden von Abmahnungen geführt.

Die Nutzer von Foren, Kommentarangeboten oder Social Media konnten bislang also darauf vertrauen, dass ihre höchstpersönlichen Daten allenfalls an Strafverfolgungsbehörden herausgegeben werden, sofern entsprechend ernstzunehmende strafrechtlich relevante Vorwürfe im Raum standen. Ansonsten konnten sie sich aber darauf verlassen, sich ungestört unter Pseudonym öffentlich auszutauschen.

Kampf der Anonymität

Diese vermeintliche Anonymität und die damit verbundene Freiheit im Internet ist sowohl der SPD als auch der CDU/CSU offenbar bereits seit geraumer Zeit suspekt. Offenbar nahm man nun die Diskussion um strafbare Hass-Postings und deren Verhinderung zum Anlass, dort den lange gewollten zivilrechtlichen Auskunftsanspruch quasi zu verstecken – denn mit „Hatespeech“ hat dieser allenfalls sehr am Rande zu tun.

Ziel ist es nach der Gesetzesbegründung (WORD-Datei) das bisherige datenschutzrechtliche Verbot der Weitergabe von persönlichen Daten einzuschränken und einen Auskunftsanspruch nicht nur im Bereich des Terrors oder der Strafverfolgung zu ermöglichen, sondern auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen oder bei der Verletzung „anderer absolut geschützter Rechte“. Auch eine gerichtliche Entscheidung über die Herausgabe der Daten sieht das Gesetz nicht vor.

Vertrauensverluste

Wem aber soll eine solche Einschränkung des Datenschutzes eigentlich helfen? Zunächst einmal wird dadurch keine einzige rechtswidrige Äußerung verhindert oder gelöscht. Auch können sämtliche strafbare Äußerungen wie bisher verfolgt werden. Neu ist allerdings, als Betroffener einer Verletzung eines „absolut geschützten Rechts“ einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch geltend machen zu können. Praktisch bedeutet dies: Der Anbieter eines Blogs, Forums oder einer Social-Media-Präsenz muss dem Betroffenen ohne gerichtliche Anordnung die höchstpersönlichen Daten des Verfassers mitteilen – der dann anwaltlich abgemahnt und sogar verklagt werden kann.

Zu den „absoluten Rechten“ gehören unter anderem das Persönlichkeitsrecht oder die Immaterialgüterrechte. Praktisch sehr relevant dürfte in diesem Kontext auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sein, dass unter anderem Unternehmen vor schädigende Werturteile oder abträglichen wahrer Tatsachen schützt.

Zukünftig kann dann also der Zahnarzt einem auf einer Bewertungsseite allzu kritischen Patienten mit teuren Abmahnungen den Zahn ziehen. Wer bei Amazon oder eBay schlecht bewertet und dabei möglicherweise allzu hart Kritik übt, muss mit teuren Anwaltsbriefen rechnen. Auch eine schonungslos offene Auseinandersetzung zwischen ehemaligen oder aktuellen Mitarbeitern von Unternehmen in einem Forum dürfte nur noch eingeschränkt möglich sein – müssen doch die Teilnehmer stets damit rechnen, dass der Anbieter ihre persönlichen Daten an den Arbeitgeber herausgibt.

Die Praxis zum Beispiel im Forum von heise online zeigt, dass es nicht unbedingt immer die seriösen Unternehmen sind, die auf diese Art und Weise eine kritische Auseinandersetzung unterbinden wollen. Gleiches gilt zum Beispiel auch für Politiker, die gegen ihnen nicht genehme Äußerungen vorgehen können. Im Worst-Case-Fall kann man sich so recht bequem die Adressen der politischen Gegner vom Internetanbieter kostenfrei nach Hause schicken lassen.

Güldene Zeiten dürften sich dagegen wieder einmal für Abmahnanwälte einstellen, wobei damit zu rechnen ist, dass sie hier schnell „Kollegen“ finden werden, die sich auf diese neue Verdienstquelle spezialisieren werden. Die Erfahrungen mit der Einführung des entsprechenden Auskunftsanspruchs für Rechteinhaber zeigt, wie schnell sich hier ein Markt für Abmahner gebildet hat.

Enorme gesellschaftliche Kollateralschäden

Neben Datenschützern und Vertretern der Zivilgesellschaft kritisierte nicht nur der Branchenverband BITKOM in einem Gutachten bereits einmal Ende 2016 aufgekommene Pläne zu einer derartigen Gesetzesänderung. Dabei stellte man sich die Frage, ob es angesichts der ja vorhandenen strafrechtlichen Möglichkeiten überhaupt eine Notwendigkeit für eine derartige Reduzierung des datenschutzrechtlichen Schutzes gebe. Dies gilt umso mehr, als damit eine weitreichende Beeinträchtigung der Meinungsäußerungsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung verbunden wäre.

So würden viele, vor allem kleinere Anbieter, bereits jetzt auch rechtlich zulässige Kommentare zu löschen, um einer Haftung zu entgehen. Auch dem e-Commerce und der Entwicklung der Wirtschaft hierzulande dürfte kaum damit gedient sein, wenn ein Gesetzesentwurf dauerhaft das Vertrauen zwischen Anbieter und Kunden beeinträchtigt und die User nicht mehr darauf vertrauen können, dass ihre Daten nicht weitergegeben werden.

Ein derart uferlos erweiterter Auskunftsanspruch würde zu einer noch viel weiteren Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit der Nutzer von Plattformen führen. Denn ein User müsste sich bei jeder Äußerung des Risikos bewusst sein, dass seine höchstpersönlichen Daten an Dritte herausgegeben werden und er mit Abmahnungen oder sogar Gerichtsverfahren rechnen muss. Dass dies zu einer gesellschaftlich höchst bedenklichen Schere im Kopf, dem „Chilling Effect“ führen wird, dürfte mehr als offensichtlich sein. Der Gesetzesentwurf von SPD und Union ist daher nicht weniger als ein höchst gefährlicher Frontalangriff auf die Anonymität – und damit auf das Vertrauen im Internet ebenso wie auf die Meinungsfreiheit.

Quelle: heise.de