Nochmal ganz langsam zum Mitschreiben für den einen oder anderen europäischenn Gesetzgeber erklären Europas höchste Richter: Eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist grundrechtswidrig.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat Regelungen zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung in Großbritannien für grundrechtswidrig erklärt und damit auch Vorlagen schwedischer und britischer Gerichte beantwortet. Der EuGH urteilte, das Unionsrecht stehe grundsätzlich einer nationalen Regelung entgegen, „die eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von Daten vorsieht“. Die Entscheidung könnte erhebliche Auswirkungen für das laufende Verfahren gegen die Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland haben.

Privatleben offengelegt

Der heute entschiedene Fall geht auf Klagen von Brexit-Minister David Davis und anderen gegen die britische Snooper’s Charter zurück (Aktenzeichen C-698/15). In Schweden hatte zudem der Anbieter Tele Sverige das Oberverwaltungsgericht Stockholm angerufen, um seine Aussetzung der Datenspeicherung absegnen zu lassen (Aktenzeichen C203/15).

Die Gesamtheit von anlasslos gespeicherten Daten lassen „sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen zu, deren Daten auf Vorrat gespeichert werden“, erklärten die Richter zu den zusammengezogenen Verfahren aus England und Schweden. Daher handele es auch um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff, wenn ohne Anlass Verkehrs- und Standortdaten gespeichert würden.

Der Gerichtshof unterstrich dabei den fehlenden Zusammenhang zwischen den auf anlasslos gespeicherten Daten und einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit. Er beschränke sich „nicht auf die Daten eines Zeitraums und/oder eines geografischen Gebiets und/oder eines Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, beschränkt.“ Eine solche Regelung überschreite die „Grenzen des absolut Notwendigen“, so das Urteil.

Eingeschränkte Speicherung

Gleichzeitig weisen die Richter hier auf das, was aus ihrer Sicht noch möglich ist: eine gezielte, aus gegebenem Anlass erfolgende Speicherung. Auch dafür müssen die Gesetzgeber allerdings wiederum eine Reihe von Maßgaben erfüllen. Der Zugang muss in der Regel – außer im Notfall – von einem Richter abgesegnet werden und die Daten sind in Europa zu speichern.

Das Urteil wirft auch ein erstes Licht auf die neue Verfahren beim Bundesverfassungsgericht. Erst vergangene Woche hatte DigitalCourage ein neues Massenverfahren mit 33.000 Mitunterzeichnern angestrengt. Sollte das Verfassungsgericht in seinem Urteil hinter dem des Europäischen Gerichtshofs zurückbleiben, könnten sich die Kläger aufgefordert fühlen, selbst den Weg nach Luxemburg zu beschreiten.

Gegen „Sicherheitsesoteriker“

In einer ersten Reaktion erklärte Volker Tripp, politischer Geschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft., mit Blick auf die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland: „Mit seinem heutigen Urteil zur Vorratsdatenspeicherung macht der Europäische Gerichtshof allen Sicherheitsesoterikern und Überwachungsfanatikern einen dicken Strich durch die Rechnung. […] Nun muss auch Deutschland reagieren und die erst im vergangenen Jahr verabschiedete Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung ein für allemal auf den Müllhaufen der Geschichte verbannen.“

[Update 21.12.2016 12:30]:

Der eco, der Verband der Internetwirtschaft, freute sich über das Urteil: „Die Richter haben ihre Chance einer weiteren Grundsatzentscheidung genutzt: Die Mitgliedstaaten dürfen keine anlasslose und allgemeine Vorratsdatenspeicherung festlegen. Damit sehen wir unsere wiederholt geäußerten Bedenken bestätigt.“, erklärte Oliver Süme, eco-Vorstand Politik & Recht. Es sei äußerst zweifelhaft, ob das deutsche Gesetz zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung in seiner konkreten Ausgestaltung den strengen materiellen und prozeduralen Anforderungen des Gerichtshofs genügt. „Wir brauchen jetzt dringend ein Moratorium, um die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland zu stoppen, andernfalls laufen die Unternehmen Gefahr ein europa- und verfassungsrechtswidriges Gesetz umsetzen zu müssen und damit Gelder in Millionenhöhe in den Sand zu setzen.“

Auch die Piratenpartei begrüßte die Entscheidung: «Das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen europäische Grundrechte», kommentierte der netzpolitische Sprecher Patrick Breyer. „Mit diesem Urteil erteilt Europa der NSA-Methode einer wahllosen Massenerfassung des Privatlebens unschuldiger Bürger eine klare Absage.“

Quelle: https://heise.de/-3578920